Bopfinger Realschüler begleiten Wachkoma-Patienten bei ihrem Weg zurück ins Leben
Bopfingen sz Seit mehr als zwölf Jahren besteht die Wachkoma-AktivPflege in Bopfingen. Am Standort der früheren Klinik am Ipf kümmert sich dieses Pflegeheim um bis zu 18 Menschen mit schwerer Hirnschädigung und der niederschmetternden Prognose: kein Reha-Potenzial". Zahlreiche Bopfinger unterstützen das besondere Haus und seine Bewohner nach Kräften: Darunter seit Jahren die Schülerinnen, Schüler und Lehrer der Realschule Bopfingen.
Knut Frank leitet die Wachkoma-Einrichtung als Pflegefachkraft. Er besucht regelmäßig die Klassen der Realschule und berichtet vom Schicksal der Heimbewohner. Wenn er von einem 20-Jährigen erzählt, der durch einen schweren Radunfall jäh aus seinem bisherigen Leben gerissen wird, horchen die Schüler plötzlich auf.
Dass Einrichtungen wie die Wachkomapflege immer wichtiger werden, hängt auch mit der besseren medizinischen Versorgung zusammen, lernen die Schüler. „Immer mehr Menschen sterben nicht, sondern leben weiter", sagt Pflegedirektor Günther Schneider. Die Bewohner in dem Bopfinger Haus kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern.
Aktivierende Pflege
Durch sogenannte aktivierende Pflege wird ihr Zustand stabilisiert, die Fachkräfte versuchen, neue Rehabilitationspotenziale zu wecken. Manchmal gelingt es auch, die Heimbewohner zurück ins Leben zu holen, sie beginnen zu schlucken, müssen nicht mehr künstlich ernährt werden. Manche erwachen aus dem Dämmerzustand, fangen an, zu sprechen. In einigen Fällen klappte bereits die Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.
Meist aber sind die Verbesserungen minimal und gehen langsam voran. Für die Angehörigen kommt zur menschlichen Not auch noch das finanzielle Problem. Irgendwann ist nicht mehr die Kranken-, sondern die Pflegeversicherung zuständig. Die Leistungen aus der staatlichen Versicherung sind bei weitem nicht ausreichend, die zusätzlichen Kosten für die Angehörigen immens. Umso wichtiger ist für die Wachkoma-Pflege die Unterstützung aus der Bevölkerung.
Die Konrektorin der Realschule, Kreisrätin Carola Merk-Rudolph, stellte den Kontakt 2011 her. Seither gehört die enge Beziehung zu der Pflegeeinrichtung zum Schulalltag. „Dadurch entdecken unsere Schüler das Bewusstsein für die Wachkoma-Problematik und die Höhen und Tiefen, die zum Leben gehören", sagt Rektor Stefan Vollmer.
Und nicht nur das: Die Realschüler packen auch mit an und stellen für die Wachkoma-Pflege jährlich ein tolles Sommerfest auf die Beine. Sie kümmern sich nicht nur um Speisen und Getränke, sondern auch um ein Unterhaltungsprogramm mit musikalischen Beiträgen. Dieses Jahr findet das Sommerfest, zu dem auch der Rest der Bopfinger eingeladen ist, am 14. Juli statt.
Das ganze Jahr über engagieren sich die Realschüler, fertigen etwa handgenähte Spezialkissen für die Patienten oder eine Sinnesbox zum Erfühlen von Gegenständen an. Mit Kunsterzieher Oliver Rolf Sauter haben die Schüler Fensterbilder für den Eingangsbereich der Pflegeeinrichtung und Windspiele angefertigt. Das „Denkmal mit Herz" im Garten, das eine Abschlussklasse gestaltet hat, ist mittlerweile ein Wahrzeichen der Wachkoma-Pflege. Dieses Jahr soll ein Springbrunnen gestaltet werden. „Man gibt etwas und bekommt auch etwas, nämlich einen anderen Blickwinkel", sagt Sauter über diese besondere Partnerschaft. Die Heranwachsenden verlassen das schulische Umfeld und sind mit einer Extremsituation konfrontiert.
Die Kooperation entstand zu einer Zeit, als die Wachkoma-Pflege in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und besonders auf Unterstützung angewiesen war. Seit 2012 besteht eine offizielle Bildungspartnerschaft. „Wir möchten uns einerseits als Unternehmen präsentieren, das junge Menschen ausbildet", erklärt Pflegedirektor Schneider, aber es sei noch mehr: „Die AktivPflege wirkt in die Gemeinschaft hinein."
Schüler porträtieren Bewohner
Ein ganz besonderes Projekt unternahmen die Schüler im vergangenen Jahr. 17 von ihnen porträtierten je eine Bewohnerin oder einen Bewohner der Wachkoma-Pflege. Ein halbes Jahr dauerte die Aktion. Die Teilnehmer lernten die Bewohner kennen, erkundigten sich über ihre Lebensläufe, ihre früheren Berufe und Hobbys, ihre Schicksalsschläge, die sie schließlich zu Wachkomapatienten gemacht hatten. Sie kamen in Kontakt mit den Angehörigen, die zu
Besuch waren. „Mein Bewohner war früher mal Kraftfahrer – und jetzt liegt er da, ohne sich bewegen zu können", erzählt Schüler Lucas über diese tiefe Erfahrung.
Für die Schüler war es anfangs schwierig. Allein im Zimmer mit dem Zeichenblock und einem Menschen zu sitzen, der lebt, mit dem man aber nicht in Kontakt treten kann. Das Röcheln, die merkwürdige Ernährungspumpe hören, sonst nichts. „Langsam trauten sie sich, länger hinzuschauen", berichtet Kunstlehrer Oliver Rolf Sauter.
So baute sich ein Kontakt auf. Denn Experten gehen davon aus, dass Wachkoma-Patienten durchaus am Geschehen teilnehmen, auch wenn sie, von außen betrachtet, keine Reaktionen zeigen, keine Laute und Bewegungen von sich geben. Darauf bauen auch die Pflegeprofis. Meist beginnt es mit der Kommunikation über einfachste Bedürfnisse, etwa ob ein Patient liegen will oder ins Freie möchte. Einigen Patienten gelingt es, sich über Bewegungen der Augenlider mitzuteilen
Die Schülerbilder hängen nun in den Zimmern der Wachkoma-Bewohner. Eines von ihnen etwa ist handwerklich vielleicht nicht überragend: „Aber es hat genau das Auge eines Bewohners und den Ausdruck darin eingefangen", betont Sauter. Darum ging es.